Norditalien: München - Venedig - Mailand

Die Alpen mit dem Fahrrad zu überqueren ist für viele ein Highlight. Heute muss dieser Traum nicht unerfüllt bleiben, da es mittlerweile einige gut ausgebaute Fernradwege durch das Gebirge Richtung Süden gibt. 2011 durchfuhr ich die Alpen über die Schweiz und Frankreich das erste Mal. Diesmal habe ich mir vorgenommen weiter östlich zu starten und die Reise mit einem Aufenthalt in Italien zu verbinden. Ich entschied mich für den Fernradweg München – Venezia. Dahinter sollte es dann von Venedig aus zum Pofluss und weiter bis nach Mailand gehen.

In Bayern startete ich in Bad Tölz. Hinter dem Isarradweg fährt man direkt über den Sylvenstausee und Achensee nach Österreich, genauer nach Tirol hinein. Schon an diesem ersten Fahrtag erlebte ich die beeindruckende alpine Bergwelt hautnah. Der Fernradweg ist gut ausgeschildert und versucht die Wegführung so zu halten, dass man nicht auf Hauptstraßen fahren muss. Dass heißt aber auch, man muss immer wieder kurze Steigungen nehmen, die ich mit meinem bepacktem Reiserad entweder fahrend oder schiebend überwunden habe. Dagegen musste ich bei der langen und teils steilen Abfahrt ins Inntal immer wieder stark abbremsen, um nicht unkontrolliert mit Rad und Gepäck im Graben zu landen.

Der weitere Weg durch das breite Inntal bis nach Innsbruck ist dann wieder flach und entspannt auf dem Inntalradweg zu fahren. Die Innsbrucker Altstadt mit ihren schmalen Gassen ist sehenswert, aber mit Gästen überfüllt, sodass man einen Besuch besser am frühen Morgen oder am Abend plant. Dort habe ich erfahren, dass es stündlich eine Bahnverbindung nach Brenner gibt. Man ist gut auf Fahrradfahrer eingestellt, es sind genügend Abstellmöglichkeiten im Zug vorhanden. Die Alternative ist mit dem bepackten Fahrrad auf der „Alten Brennerstraße“ teilweise mit viel Autoverkehr steil bergan Richtung Brenner zu fahren. Kurzentschlossen habe ich die Zugverbindung gewählt, da auf mich ab Brenner immer noch genügend Höhenmeter warten. Im Ort Brenner findet man schnell den Radweg, der ab dort über eine ehemalige Bahntrasse führt. Bei strahlendblauem Himmel und warmen 25 Grad erlebte ich einen einmaligen Radweg, der durch eine beeindruckende Bergwelt führt. Übrigens bin ich seit Brenner schon in Italien in Südtirol unterwegs. Ich passiere im Eisacktal die Orte Sterzing und Franzenfeste. In der Nähe von Brixen biege ich in das Pustertal ein und rolle dort entlang am Fluss Rienz weiter bis nach Bruneck. Der Wegverlauf ist weiterhin sehr schön gewählt, meistens auf Nebenstrecken, Wald- oder Landwirtschaftswegen. Da man oft durch breitere Täler fährt, sind die Steigungen unterwegs überschaubar und moderat.

In Bruneck habe ich zwei Nächte auf dem schwer auffindbaren Campingplatz außerhalb des Ortes übernachtet. Für die sehenswerte Altstadt mit Ihren Stadttoren und die Burg, die auf einen hohen Felssporn liegt, kann man gut einen Tag einplanen. Hinter Bruneck habe ich nochmal viele Höhenmeter gesammelt, denn dort geht es immer weiter in die Dolomiten hinein. In Toblach bin ich auf den Dolomitenradweg abgebogen, der auf einer ehemaligen Bahnstrecke entlangführt. Nun geht es langgezogen und moderat bergan, vorbei am Toblacher See bis zu einem Aussichtspunkt, von wo man die „Drei Zinnen“ gut sehen kann. Leider hatte es sich zugezogen, sodass die weißen Bergspitzen der Dolomitenhöhen geheimnisvoll in Wolken gehüllt waren. Viele Kilometer hinter dem Dürrensee habe ich dann den Gemärkpass erreicht. Er ist mit 1530m nicht nur die höchste Stelle auf dem Fernradweg, sondern auch ein Wendepunkt, wenn man Richtung Süden fährt. Ab dort geht es jetzt bis ins venezianische Flachland tendenziell immer bergab. Die Wegführung auf der ehemaligen Bahntrasse verläuft weiter auf Schotterwegen durch eine wunderbare Wald- und Felsenlandschaft. Ohne viel Anstrengung rolle ich den einsamen Weg bergab. Einerseits ist dies entspannend, andererseits friere ich, da es kalt und regnerisch geworden ist. Durchgefroren komme ich an einem, der drei Campingplätze in Cortina d´Ampezzo an.

Von Cortina führt der Bahntrassenweg weiter durch die spektakuläre Landschaft, die Berge der Dolomiten sind jetzt hinter mir. Immer wieder durchfahre ich kleine Siedlungen, wie San Vito oder Vodo Di Cadore. Hinter Pieve Di Cadore erreiche ich ein weiteres Highlight für Fahrradfahrer: Eine Serpentinenstraße, auf der keine beziehungsweise nur noch selten Autos fahren. In vielen Kehren führt die Straße, die teilweise in die Felswände gearbeitet wurde, in das Piavetal hinab. Dort geht es weiter Richtung Süden, mit jedem Kilometer öffnet sich das Flusstal immer mehr. Das Wetter, die Vegetation und das Licht ist mediterran geworden. Bei strahlendem Sonnenschein und warmen Temperaturen folge ich dem Piave-Fluss und erreiche am Abend den Ort Farra d´Alpago am Lago di Santa Croce. Aufgrund thermischer Winde, die täglich zwischen den kühlen Bergregionen und der warmen venezianischer Tiefebene entstehen, ist der See ein beliebter Treffpunkt für Surver und Kitesurfer.

In der italienischen Provinz Venezien angekommen, rolle ich jetzt entspannt auf Nebenstrecken weiter. Die Alpen liegen jetzt hinter mir und das ferne Ziel ist Venedig. Über die Städte Treviso und Lido di Jesolo fahre ich bis nach Punta Sabbioni, das am Ende einer Halbinsel liegt. Von dort kann man gut mit dem Fährboot bis nach Venedig übersetzen, wo man seitlich des Markusplatzes ankommt. Insgesamt war ich fünf Tage in Punta Sabbioni und habe drei Ausflüge in die schöne Lagunenstadt unternommen.

Die Personenfähren nehmen oft auch Fahrräder mit, so konnte ich von Sabbioni aus auf die Insel Lido di Venezia übersetzen. Zwischen Venedig und dem offenen Mittelmeer liegen zwei langgezogene, schmale Nehrungen, die bewohnt sind. Im Wechsel von kurzen Insel- und Fährfahrten gelangte ich über die Inseln Lido und Pellestrina bis in die Hafenstadt Chioggia. Wer Zeit genug hat, sollte sich diese Inseln unbedingt anschauen: Das Leben dort hat seinen eigenen Rhythmus, durch die widrigen Bedingungen ist die Natur dort einmalig. Am nächsten Tag bin ich am breit dahinfließenden Pofluss angekommen, wo ich weiter in Richtung Westen, also flussaufwärts geradelt bin.

Wer sich für eine Tour an diesem Fluss entscheidet, sollte folgendes wissen: Der Fluss fließt durch Regionen, die auf der italienischen Touristenlandkarte eher eine unsichtbare Rolle spielen. Die Touristenströme machen meist Halt an den großen Bergseen, wie den Gardasee und bewegen sich dann weiter nach Süditalien an die Küsten und Provinzen wie die Toskana. Dazwischen liegen meist ungeachtet die einmaligen Po-Landschaften mit ihren kulturellen Highlights. Hier sind auch die „Kornkammern“ des Landes mit weitausgedehnten Kulturlandschaften, die man durchfährt. Während einer Fahrradreise am Pofluss lernt man die Einsamkeit, die weiten Landschaften, die sich endlos dahinziehenden Flussdämme, die vielen kleinen, verschlafenen Dörfer und die wenigen Großstädte schätzen und lieben.

Die touristische Infrastruktur ist vorhanden, manchmal lückenhaft, insgesamt aber für eine Radreise gut geeignet, wenn man sich darauf einlässt und unterwegs auch mal improvisieren kann. Mit dem Fahrrad fährt man hauptsächlich auf den flachen und beidseitig des Flusses verlaufenden Dämmen. Zwischen den Dämmen hat der Fluss viel Platz, sodass man das Wasser auch oft nicht direkt sieht. Auf dieser Tour kommt man in Regionen, die man so nie angesteuert hätte: Die Reise ist also etwas für Entdecker und Neugierige. Die beste Reisezeit ist das Frühjahr und der Herbst, ich bin im September dort unterwegs gewesen, was ideal gewesen ist. Im Vergleich zu anderen Fernradwegen beziehungsweise Flussradwegen ist die Beschilderung hier nicht durchgängig organisiert. Es gibt stattdessen eine Aneinanderreihung von regionalen Radwegen, woran man sich aber schnell gewöhnen kann. In Kombination mit einem Radtourenführer oder mit GPS-Tracks kommt man gut zurecht. Die Strecke Venedig bis nach Cremona ist rund 350 Kilometer lang.

Ferrara ist die erste große Stadt in der Nähe des Pos, in die ich gefahren bin. Dort habe ich mir für drei Nächte eine Privatunterkunft organisiert, um die nahegelegene Altstadt zu erkunden. Inmitten der sehenswerten Stadt liegt die wehrhafte Burganlage, samt Wassergräben. Seitlich davon kann man stundenlang durch die vielen Gassen streifen und immer wieder neues entdecken. Die italienische Baukunst früherer Zeiten ist beeindruckend, besonders auch die Innenhöfe offizieller und privater Gebäude.

Wer Filmklassikern mag, fährt auf der Tour durch einen besonderen Ort: das weltbekannte Brescello. Es ist das originale Dorf der berühmten Filme um den gewitzten Dorfpfarrer Don Camillo und seinem Gegenspieler Bürgermeister Peppone. Heute ist dort immer noch alles auf diese Filme eingestimmt, es gibt zum Thema ein Museum, Hotels, Pensionen und Lokale. Trotz moderatem Tourismus wirkt der zentrale Marktplatz, der heute noch so aussieht wie in den Filmen, nicht überlaufen.

Die zweite große Stadt auf meinem Weg ist Cremona gewesen. Dort gibt es auch einen, der wenigen Campingplätze auf der Strecke seit Chioggia, wo ich mich einquartiert habe. Das nahgelegene Stadtzentrum ist gut per Pedes zu erreichen. Cremona ist nicht nur als schön anzuschauende Stadt, sondern auch als Stadt der Geigenbauer weltbekannt. Vieles dreht sich hier um dieses Musikinstrument. Dort habe ich den deutschstämmigen Geigenbauer Gaspar Borchardt kennengelernt. Er hat mir in seiner Werkstatt viel über dieses wunderbare Handwerk, die Stadt Cremona und das Leben dort erzählt. Sehenswert ist auch der zweimal wöchentlich stattfindende Markt, auf dem viele regionale Köstlichkeiten angeboten werden. Da die Stadt Parma in der Nähe liegt, habe ich mir ein Stück Parmesankäse gekauft. Diese Köstlichkeit ist würzig und so bekömmlich, dass man ihn auch „auf der Hand“ oder mit Brot essen kann. Wer in Italien unterwegs ist, lernt schnell die regionalen Köstlichkeiten zu schätzen. Da hält man auf den Tagestouren auch gerne mal an einer Eisdiele an und kühlt sich an einem erfrischenden italienischen Eis.

In Cremona habe ich den Po verlassen und bin die letzten 80 Kilometer bis Mailand hauptsächlich über Nebenstraßen weitergefahren. Das Navigationsgerät hat mir oft regionale Radrouten vorgeschlagen. Mailand ist ein wunderbarer Abschluss meiner sechswöchigen Reise über die Alpen und durch Norditalien gewesen. Neben dem beeindruckenden Mailänder Dom gibt es in der Stadt viel zu entdecken. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht man hier gut alle Stadtbereiche und Stadtteile.

Während meiner Rückreise von Mailand aus bin ich mit dem Zug über die Schweiz nach Deutschland eingereist. Rückblickend war diese Radreise eine aufregende und abwechslungsreiche Tour mit vielen netten Begegnungen. Es ist meine erste Italienreise, aber bestimmt nicht meine letzte Reise in Italien gewesen.