Der Rhein

Diese Reise habe ich auch verfilmt. Informationen dazu findet ihr hier.

Hier ist eine Rheinbrücke, die nicht auf meiner Karte eingezeichnet ist? Ich stehe inmitten einer Großbaustelle bei Nimwegen schaue irritiert und versuche mich zu orientieren.

„Können wir helfen?“ höre ich hinter mir. Ich drehe mich um und blicke in freundlich lächelnde Gesichter. Ria und Paul sind Niederländer und kommen aus Nimwegen. Sie sind auf dem Heimweg von einer Radtour und begleiten mich bis auf die andere Rheinseite und durch das Stadtgewirr. Ria und Paul möchten mich unbedingt zum  „Hollandsch – Duitsch Gemaal“ (Holländisch – Deutsches Pumpwerk) bringen, da ab hier der Weg in Richtung deutsche Grenze am Schönsten ist. Wir verabschieden uns und ich bin wieder alleine unterwegs. 

Während ich durch die schönen und ruhigen Auenlandschaften fahre, denke ich noch lange an diese nette Begegnung. Solche spontanen Kontakte habe ich auf meinen Radreisen schon oft erlebt. Mit einem bepackten Reiserad fällt man auf. Man ist während des Reisens mittendrin und wird nicht durch Blech und Scheiben von der Landschaft und den Menschen getrennt.

Ich fahre auf einem höher gelegenen Damm mit gutem Rundumblick. Links der Straße ist der Rhein, den die Niederländer „Waal“ nennen. Rechts hinter dem schützenden Damm liegen saftiggrüne Auenwiesen. Zwischendrin stehen reetgedeckte Gehöfte, deren Größe erahnen lassen, dass das Land hier fruchtbar und ertragreich ist. 

Am längsten Fluss Deutschlands wird es nie langweilig, ich durchfahre stets neue interessante Orte: Es gibt beschaulichen Dörfer, die schon seit Ewigkeiten den Launen des Flusses trotzen. Die Hochwassermarken an den Hauswänden wirken wie Beweise für ihre Standhaftigkeit. Das Gegenteil hiervon sind triste, stark industrialisierte Städte wie Duisburg, Leverkusen oder Wesseling. Sie wirken vom Rhein aus betrachtet wie eine Mischung aus Schornsteinen, Wohnhäusern und Produktionsstätten.

Von der Rheinmündung im niederländischen Städtchen Hoek van Holland bis hier ins Mittelrheintal bin ich bereits 600 Kilometer gefahren.

Hier im Mittelrheintal hat sich der Rhein über Jahrtausende tief in das Gestein gearbeitet. Der Mensch muss sich hier besonders anpassen. Jede freie Stelle wird genutzt. Man baute hier wehrhafte Burgen und schmuckvolle Schlösser auf die schmalen Ebenen der höher gelegenen, älteren Flussterrassen. Diese architektonischen Meisterleistungen fügen sich harmonisch in die Fluss- und Tallandschaft ein. Die steil aufragenden Reihen der Weinreben, die ich immer wieder neben dem Radweg bestaune, sind nicht minder sehenswert.

In den engen und hohen Tälern waren die Dörfer früher abgelegen und oft nur über den Fluss zugänglich. Eine Bootsfahrt auf dem Fluss war oft mit Gefahren verbunden. Es gab wilde Strömungen, heftige Strudel und starke Untiefen. Hieraus entstanden über die Jahrhunderte auch Mythen und Erzählungen.

Eine berüchtigte Flussbiegung liegt am Loreleyfelsen. Dort sanken besonders viele hölzerne Nachen. Die Überlebenden konnten sich an das gegenüberliegende flache Ufer retten. Nicht selten berichteten die Geretteten, dass sie eine singende Nixe hoch oben auf dem Felsen gesehen hätten.  

Vielleicht hat die blonde Schönheit als Zeitvertreib heute eher Radreisende im Blick? Beim Passieren des Loreleyfelsen beschleunige ich und konzentriere mich auf den Radweg. Irgendwann bin ich am Felsen vorbei und nehme erleichtert einen kräftigen Schluck aus der Trinkflasche.

Ab Basel fahren keine Transportschiffe mehr, da der Fluss rheinaufwärts mehrmals gestaut wird. Hier, am Oberrhein, schimmert das klare Wasser, je nach Lichteinfall, grün bis türkisgrün. Die Flussbreite ist schmal. Die Uferlinien wechseln ständig zwischen Deutschland und der deutschsprachigen Schweiz.

Bis nach Konstanz, dem Ziel meiner Tour, werde ich insgesamt rund 1250 Kilometer gefahren sein. Den größten Teil hiervon bin ich auf dem internationalen Rheinradweg gerollt. Dieser Langstrecken-Radweg hatte mindestens genauso viele Gesichter, wie der Fluss: Von hochmodern in Holland, über rinnsalbreit im Ruhrgebiet, bis zu endlos geradeaus verlaufenden Schotterwegen auf Hochwasserdämmen. Durchweg war ein Radfahren gut möglich und die Beschilderung nur selten schlecht oder nicht vorhanden. Gerade auch durch die unterschiedliche Wegqualität beziehungsweise Wegführung gepaart mit den unzähligen Erlebnissen am Wegesrand wird eine Radreise am Rhein zu einem abwechslungsreichen Abenteuer.

Vor Stein am Rhein, mit seinen schmuckvollen Fassadengemälden im mittelalterlichen Stadtkern, beginnt die riesige Seenlandschaft des Unter- und Bodensees. Die Sonne scheint warm, viele Segelschiffe gleiten leicht und majestätisch durch das glassklare Wasser. Alles wirkt mediterran und verströmt Lebenslust. Ich fahre weiter entlang der schweizer Seeseite. Auf schmalen Wirtschaftswegen sehe ich viele Obstkulturen, deren Äste sich von den vielen Äpfeln oder Birnen biegen.

Als ich dann auf meinem letzten Campingplatz in Konstanz ankomme, erfahre ich, dass an diesem Wochenende das „Highlight“ des Jahres stattfindet: Ein großes Seefest mit finalem Feuerwerk. Der Zeltplatz ist demensprechend voll und die Stimmung prächtig. Während ich durch Konstanz gehe, steige ich auch auf den Kirchturm des Münsters hinauf. Von hier oben hat man einen sagenhaften Ausblick. Weit kann ich auf den Bodensee blicken. Die Alpen weiter südlich rahmen den See majestätisch ein. Konstanz liegt wie eine Modellbaustadt vor mir.

Während mir hier oben der warme Wind ins Gesicht weht, lasse ich nochmals die vielen schönen Tage am Rhein Revue passieren. Auf dieser Reise habe ich wieder viel davon erfahren, wie schön und abwechslungsreich das eigene Land und die angrenzenden Nachbarländern sind.